Wie ich fast in einem Katzenkörbchen gelandet wäre

Manchmal stellt einem das Leben Aufgaben, die einen an den Rand der Verzweiflung bringen. Diese Geschichte beginnt damit, dass mein Nachbar auf mich zukam und sagte: „Hey, kannst du dich mal um die Kastration meiner Katze kümmern? Ich hab so viel zu tun auf der Arbeit und du… du bist ja nur Autor und freier Theologe. Du hast ja immer Zeit, oder?“

Natürlich! Ich habe als Autor und freier Theologe ja nur den lieben langen Tag damit zu tun, mich mit Notizbüchern und Gebetsbüchern umzugeben, da bleibt doch immer Zeit für eine Katzenkastration, dachte ich mir sarkastisch. Aber gut, ein wenig Nachbarschaftshilfe kann ja nicht schaden. Also nickte ich heldenhaft und sagte: „Klar, mach ich.“

Und genau da begann die ganze Misere.

Da ich keine Ahnung hatte, zu welchem Tierarzt mein Nachbar normalerweise geht (weil, warum sollte ich das wissen?), beschloss ich, einfach den nächstbesten Tierarzt in der Nähe anzurufen. „Hallo, ich möchte einen Termin für eine Kastration machen… für eine Katze“, sagte ich stolz.

„Alles klar, wie heißt die Katze?“, fragte die freundliche Dame am Telefon. Und da hatte ich mein erstes Problem. Die Katze – also der Kater – heißt irgendwie… tja, gute Frage. „Ähm, der Name? Ja… die Katze hat… keinen Namen“, stammelte ich. Wahrscheinlich hielt mich die Dame am anderen Ende schon für verrückt, aber sie war Profi genug, sich das nicht anmerken zu lassen. „Gut, dann reserviere ich den Termin einfach auf den Namen ‚Katze‘“, sagte sie trocken und ich war froh, dass das Problem erstmal gelöst war.

Am Abend vor der Operation stand ich also vor meinem winzigen Haus am See und hatte die wichtige Aufgabe: „Katze ab sofort kein Futter und kein Wasser mehr geben.“ Leichter gesagt als getan, wenn man bedenkt, dass das pelzige Monster (ja, jetzt war sie ein Monster) sehr genau weiß, wo jede noch so kleine Bröselquelle in meinem Haus ist. Ich schloss jede Tür ab, deckte alle Wasserquellen ab, schob den Napf in den Schrank und warf vorsichtshalber auch gleich noch den Mülleimer in den Garten.

Aber das war der Katze – Entschuldigung, dem Kater – natürlich vollkommen egal. Sie stellte sich mitten ins Wohnzimmer und begann lautstark zu protestieren. Mit jedem „Miau“ in meinem Ohr fühlte ich mich schlechter. Ich erklärte ihr mehrmals, dass sie morgen einen Termin hat und deswegen fasten muss, aber die Katze – pardon, der Kater – sah mich an, als hätte ich ihr den Weltuntergang verkündet. Schließlich beschloss sie, dass der beste Weg, um mich umzustimmen, darin besteht, mein gesamtes Haus auseinanderzunehmen.

Und das tat sie dann auch. Kissen wurden vom Sofa gezerrt, Stifte vom Tisch geworfen und irgendwie schaffte sie es sogar, die Badezimmertür zu öffnen und das Handtuchregal als Sprungturm zu missbrauchen. Kurz gesagt: Die Nacht war ein Albtraum. Ich lag wach im Bett und hörte, wie sie draußen kratzte, heulte und bettelte. Aber ich blieb stark. (Habe ich zumindest vor, das zu behaupten. Tatsächlich habe ich mich fünfmal umgedreht und dabei leise geflüstert: „Bitte, bitte sei nicht böse.“)

Am nächsten morgen, so kurz nach 7 Uhr war es dann soweit. Die Katze musste in den Transportkorb. Einfach, oder? Falsch. Ich öffnete das Körbchen und zeigte es ihr. Sie sah es an, dann mich – und verschwand wie ein super schneller Schatten in der hintersten Ecke unter meinem Sofa. Oh nein, so nicht! Also begann ich das große Sofa-Rücken.

„Komm schon, nur einmal da rein und dann ist es vorbei“, sagte ich, als hätte sie mich verstanden. Sie fauchte, knurrte und zwickte mir einmal in die Hand, bevor sie aus dem anderen Ende des Sofas schoss. Die nächsten 20 Minuten bestanden aus einem chaotischen Katz-und-Mensch-Versteckspiel. Am Ende, völlig entnervt und mit ein paar Kratzern auf den Händen, hatte ich sie dann doch irgendwie im Körbchen. Gerade noch rechtzeitig um nicht zu spät beim Tierarzt zu sein.

„Geschafft“, keuchte ich, und während ich versuchte, die Tür des Körbchens zu schließen, setzte sie ihre Pfoten gegen das Gitter, als wolle sie damit die gesamte Struktur auseinanderschrauben. „Du kannst da nicht raus, okay?“, sagte ich, aber sie sah mich an, als würde sie denken: „Warte nur ab.“

Dann im Auto begann die wahre Tortur. Mit jedem Meter, den ich fuhr, kam aus dem Körbchen ein lautes, jammerndes „MIAU! MIAU!“. Es klang wie die traurigste Ballade, die jemals geschrieben wurde. Sie klagte ihr Leid und machte mir klar: Ich bin ein Monster. Ein rücksichtsloser, herzloser Mensch, der sie in dieses winzige Gefängnis gesteckt hatte.

„Hör auf zu jammern, wir sind doch gleich da“, sagte ich, doch sie hielt natürlich nicht inne. Sie fauchte, kratzte am Gitter und beschwerte sich pausenlos. Selbst die Ankunft beim Tierarzt machte es nicht besser. Mit leicht zittrigen Händen überreichte ich das Körbchen der Dame am Empfang. „Ähm… hier ist die Katze. Für den Termin.“

„Alles klar, wie heißt sie denn?“, fragte sie wieder. Und da war es. Schon wieder diese verdammte Frage! Ich rang nach Worten, aber bevor ich etwas sagen konnte, warf die Dame einen Blick ins Körbchen und grinste. „Warten Sie mal… das ist doch… ein Kater.“

„Oh“, machte ich nur, mein Gesicht lief heiß. Natürlich, ich wusste es ja eigentlich, aber seit ich sie immer nur „Katze“ genannt hatte, war es in meinem Kopf fest verankert. Ich räusperte mich. „Ja, ein Kater. Aber… er hat keinen Namen. Nennen Sie ihn einfach… ‚Katze‘.“ Sie lachte nur kurz und verschwand mit dem Korb nach hinten.

Die Fahrt nach Hause, nachdem ich die Katze beim Tierarzt abgeliefert hatte, war die wohl seltsamste Autofahrt meines Lebens. Ich hätte sie genießen sollen – immerhin herrschte jetzt absolute Stille im Auto. Kein lautes „Miau! Miau!“, kein Kratzen am Transportkäfig und auch kein vorwurfsvoller Blick, der mich durch die Gitterstäbe durchbohren wollte. Es war friedlich… zu friedlich. Doch dieser Frieden fühlte sich irgendwie falsch an.

Während ich auf die leere Straße vor mir starrte, merkte ich, wie meine Gedanken anfingen, unkontrolliert Karussell zu fahren. Was, wenn irgendetwas schief geht? Klar, das war nur eine Kastration. „Ein Routineeingriff“, hatten die Tierarztassistentin gesagt. „Dauert nicht lange, gar kein Problem.“ Aber hey, auch wenn ich weiß, dass Millionen von Katzen – pardon, Kater – auf der ganzen Welt regelmäßig kastriert werden, hatte ich plötzlich das Gefühl, als wäre sie die allererste auf diesem Planeten.

Ich konnte einfach nicht aufhören, mir Sorgen zu machen. Vielleicht lag es daran, dass sie so empört aussah, als ich sie abgab. Dieser Blick, der ganz deutlich sagte: „Das wirst du bereuen.“ Und jetzt war ich hier, allein im Auto, während sie in einem sterilen OP-Raum lag, umgeben von Ärzten mit Masken, die über ihr Schicksal entschieden. Was, wenn sie die Narkose nicht verträgt? Was, wenn sie den falschen Schnitt machen? Was, wenn sie aus Versehen ein Alien transplantieren? Gut, das letzte Szenario war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber meine Fantasie war schon immer lebhaft.

Als ich das Auto auf meinen Parkplatz lenkte, war mein Magen ein einziger Knoten. Ich stieg aus, schlug die Tür zu und stand für einen Moment einfach nur da, mitten auf meiner Einfahrt. Normalerweise wäre sie jetzt schon längst wieder aus dem Käfig geklettert und hätte sich miauend beschwert, dass sie gefälligst die Terrasse erkunden will. Aber jetzt? Stille. „Vielleicht hätte ich dableiben sollen“, murmelte ich vor mich hin. „Nur um sicherzugehen, dass alles glattgeht.“

Aber was hätte das gebracht? Ich wäre den Ärzten nur auf die Nerven gegangen und wäre spätestens nach zehn Minuten rausgeworfen worden. Und trotzdem… Was, wenn sie mit einer anderen Katze verwechselt wird? Was, wenn ich am Ende mit einer anderen Katze nach Hause gehe? Ich konnte förmlich hören, wie sie mich deswegen mit einem empörten „Miau“ durch den ganzen Landkreis verfolgen würde.

Als ich endlich die Haustür öffnete, fühlte sich das Haus leer und komisch an. „Vielleicht hätte ich ihr noch eine kleine Rede halten sollen. So was wie: ‘Du schaffst das, ich bin bei dir!‘“, dachte ich. Aber na ja, was hätte das gebracht? Wahrscheinlich hätte sie mich nur wieder angefaucht und versucht, mich zu kratzen. Also entschied ich mich für die nächstbeste Ablenkung: den Fernseher.

Doch egal, welche Serie ich einschaltete, mein Kopf war woanders. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren. „Wie spät ist es?“, fragte ich mich zum gefühlt zehnten Mal innerhalb einer halben Stunde und blickte erneut auf die Uhr. Zehn Minuten vergangen. „Okay, entspann dich“, sagte ich mir laut und ging im Wohnzimmer auf und ab. Dabei warf ich immer wieder nervöse Blicke zum Handy. Hätte ich die Tierarztpraxis anrufen sollen? Aber was sollte ich sagen? „Ja, hallo, ich bin der völlig durchgedrehte Typ, der vor einer Stunde den namenlosen Kater abgegeben hat. Können Sie mir bitte sagen, dass noch alles in Ordnung ist?“

Das wäre peinlich gewesen. Aber mein Hirn spuckte trotzdem ständig neue Fragen aus: Hat sie die Narkose gut vertragen? Haben sie die Katze richtig identifiziert? Oder liegt sie jetzt irgendwo in einer OP-Schleife, weil sie darauf warten, dass ich anrufe und den Namen bestätige? Verdammt, warum konnte ich mir den Namen nicht endlich merken?!

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich schnappte mir das Handy und wählte die Nummer der Praxis. Es klingelte genau zweimal, bevor die Empfangsdame dranging. „Tierarztpraxis Meier, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ja, hallo! Äh… ich wollte fragen… äh… wegen der Katze. Ich meine, des Katers. Ist sie… er… ich meine… ist alles gut?“

Stille am anderen Ende. Dann hörte ich ein kurzes Lachen. „Ah, Sie sind der Herr mit der namenlosen Katze.“ Oh Gott, war ich jetzt schon stadtbekannt?

„Ja… genau… ist er… also… ist er okay?“

„Keine Sorge, alles lief wunderbar. Er ist gerade im Aufwachraum und kommt langsam zu sich. Sie können ihn in etwa einer Stunde abholen. Wir rufen an.“

Erlösung. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade eine Prüfung bestanden. „Oh, super. Danke!“, platzte es aus mir heraus. Die Dame lachte nur und legte auf. Ich setzte mich aufs Sofa, lehnte mich zurück und merkte, dass meine Hände leicht zitterten. „Alles gut“, murmelte ich. „Sie hat’s geschafft. Kein Alien, keine falsche Katze. Alles ist gut.“

Die Stunde verging dann erstaunlich schnell. Plötzlich klingelte das Handy erneut, und ich schoss auf wie ein Blitz. „Tierarztpraxis Meier“, meldete sich die freundliche Stimme. „Sie können die… äh… Katze… jetzt abholen.“

Ich rannte quasi zum Auto, stieg ein und fuhr schneller, als ich sollte, in die Praxis zurück. Als ich ankam, wartete er bereits auf mich. Der Kater – jetzt mit Halskrause und einer Aura des tiefsten Misstrauens – saß im Transportkorb und würdigte mich keines Blickes. Sie sah mich nicht einmal an. Sie saß nur da, still, mit einem Blick, der „Verräter“ schrie.

„Da ist er“, sagte die Dame lächelnd und schob mir das Körbchen hin. „Er wird jetzt ein bisschen Ruhe brauchen. Und versuchen Sie, ihn von der Halskrause abzuhalten, okay?“

Ich nickte benommen, bezahlte und trug den Kater vorsichtig zum Auto. Der Blick, den sie mir zuwarf, als ich in das Körbchen sah, hätte Mauern schmelzen lassen können. Ein Blick aus purer Enttäuschung. Das „Miau“, das sie diesmal von sich gab, war leiser, aber voller Vorwurf. Ich wagte nicht einmal, sie anzuschauen.

Die Fahrt nach Hause verlief überraschend ruhig. Kein Murren, kein Fauchen. Nur stilles Schweigen. Das war fast noch schlimmer. Als wir zu Hause ankamen und ich die Käfigtür öffnete, trottete sie beleidigt und wackelig ins Wohnzimmer. Sie ignorierte mich völlig. Ich hätte auch ein Möbelstück sein können, so kalt war der Blick, den sie mir zuwarf.

Als ich die Katze am Nachmittag zum Nachbarn brachte, begann das wahre Drama. Der Nachbar nahm sie auf den Arm und kaum hatte er das Haus betreten, begann die Katze wild mit den Pfoten an ihrer Halskrause zu zerren. Sie schob, zog und versuchte, das Ding irgendwie loszuwerden. „Tja, das hast du jetzt davon“, murmelte ich leise. Der Nachbar sah mich grinsend an. „Hat er dir das Leben schwer gemacht?“

„Sag einfach nichts“, seufzte ich. „Ich habe alles für diese Katze – den Kater, wie auch immer – getan, und er behandelt mich jetzt wie einen Verräter.“

Wir beide lachten, während der Kater – der wahre Held dieser Geschichte – noch einmal mit einem tiefen „Miau“ versuchte, seine Würde zu wahren. Tja, was soll ich sagen? Kastration erfolgreich, aber meine Freundschaft mit der Katze… die ist erstmal auf Eis gelegt. Hoffentlich für nicht allzu lange.



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