Der Racheraubfisch

Es war ein fauler Nachmittag im Garten, und die Sonne schien warm auf den kleinen Teich. Felix, der stattliche schwarze Kater, saß wie versteinert am Ufer und starrte angestrengt ins Wasser. Er war fest entschlossen: Heute würde er es schaffen, einen Fisch zu fangen! Er war sich sicher, dass er einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein musste. Seine Pfote hing lauernd über der glitzernden Wasseroberfläche, bereit zum Angriff.

„Ja, ja, du kleiner, glitschiger Schuppenschleicher…“, murmelte Felix und leckte sich über die Schnurrhaare. „Heute bist du dran.“

Stunden vergingen – oder vielleicht auch nur Minuten, wer weiß das bei Felix schon so genau? Doch dann, als er gerade dachte, seine Geduld hätte sich in Luft aufgelöst, sah er ihn: einen kleinen silbrigen Fisch, der fröhlich nah an die Wasseroberfläche paddelte. Felix’ Schnurrhaare vibrierten vor Aufregung.

„Hab dich!“, flüsterte Felix siegessicher und streckte die Pfote vorsichtig aus. Langsam, ganz langsam ließ er seine Krallen ins Wasser gleiten, bereit, den kleinen Fisch mit einem schnellen Schlag zu erwischen. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und er konzentrierte sich, als wäre dieser Moment die Krönung seiner Existenz.

Doch bevor er zuschlagen konnte, passierte etwas, das Felix für den Rest seines Katzenlebens nie vergessen sollte: Ein gewaltiger Platsch! erschütterte die Wasseroberfläche, und aus dem Nichts schoss ein großer, böser Fisch hervor – dreimal so groß wie der kleine Snack, den Felix im Visier hatte. Mit einem wütenden Zucken des Schwanzes und einem scharfen Blick aus seinen Fischaugen stürzte sich das Ungetüm auf Felix’ ausgestreckte Pfote.

„Miau!“, schrie Felix und sprang fast einen Meter in die Luft, als der Fisch mit voller Wucht nach seiner Pfote schnappte. Er fuchtelte wild mit der Pfote herum, während er versuchte, die Balance zu halten und nicht kopfüber in den Teich zu fallen. „Was zum –?!“

Der riesige Fisch, scheinbar mehr Hai als Karpfen, verschwand mit einem kräftigen Flossenschlag wieder in der Tiefe des Teiches, doch Felix war sich sicher: Der Angriff war persönlich. „Der… der hat mich gebissen!“, keuchte er und starrte entsetzt auf seine Pfote.

Ein winziges, unscheinbares Pünktchen war auf seiner Pfote zu sehen – kaum mehr als ein kleiner Kratzer. Doch für Felix sah es aus wie eine blutige Wunde. „Ich… ich werde sicher eine Narbe behalten!“, jammerte er und hielt die Pfote wie einen zerbrechlichen Schatz hoch. „Dieser Fisch hat mir fast die Pfote abgerissen!“

Gerade in diesem Moment kam Minka, die den ganzen Aufruhr gehört hatte, durch die Büsche gesprungen. „Was machst du denn für einen Aufstand, Felix? Hast du endlich einen Fisch gefangen?“

„Einen Fisch?!“, fauchte Felix und deutete dramatisch mit der unverletzten Pfote auf den Teich. „Da ist ein Monster drin! Ein wilder, bissiger Rachefisch! Er hat mich angegriffen! Schau!“ Er hielt Minka die „verheerend“ verletzte Pfote entgegen.

Minka musterte die Pfote und hob skeptisch eine Augenbraue. „Felix, das ist ein winziger Kratzer. Wahrscheinlich hast du dich an einem Stein gestoßen.“

„Ein Stein?!“, kreischte Felix empört. „Das war kein Stein, das war ein Fisch, der sich in einen T-Rex verwandelt hat! Er wollte mich komplett in den Teich ziehen!“

Minka rollte mit den Augen und seufzte. „Oh bitte, du übertreibst mal wieder. Komm, ich bring dich zu Gertrud, bevor du hier noch in Ohnmacht fällst.“

Felix hob stolz den Kopf und humpelte auf übertriebene Weise neben Minka her. „Jeder würde in Ohnmacht fallen, wenn er von einem Monsterfisch angegriffen wird“, murmelte er.

„Ja, ja, du tapferer Held“, antwortete Minka trocken und schob ihn zu Gertrud, die friedlich auf einem sonnigen Stein lag und in aller Ruhe vor sich hin döste.

„Gertrud!“, rief Felix lautstark, dass Gertrud vor Schreck fast vom Stein fiel. „Ich brauche dringend medizinische Hilfe! Ich wurde angegriffen!“

Gertrud blinzelte langsam und hob den Kopf. „Von wem wurdest du angegriffen, Felix? Einem wütenden Hund? Einem Waschbären?“

Felix setzte seine ganze dramatische Mimik ein, hob die Pfote wie ein tragischer Held in einem Shakespeare-Stück und miaute theatralisch: „Von einem Fisch, Gertrud! Einem riesigen, blutrünstigen Fisch!“

Gertrud sah Felix eine Weile schweigend an, dann blinzelte sie wieder. „Ein Fisch hat dich angegriffen?“, wiederholte sie langsam. „Im Teich?“

„Ja!“, jammerte Felix und hielt ihr die Pfote hin. „Sieh dir das an!“

Gertrud beugte sich vor, um den winzigen Punkt zu betrachten, dann schnurrte sie leise vor sich hin. „Ach, du meine Güte, Felix. Dieser furchterregende Punkt da ist kaum mehr als ein kleiner Schnurrhaarfurz. Lass mich das für dich sauber machen.“

Gertrud leckte behutsam über die „Wunde“, was Felix veranlasste, die Augen zusammenzukneifen und ein schmerzverzerrtes Gesicht zu machen. „Oh, Gertrud, sei vorsichtig!“, jammerte er. „Das tut schrecklich weh!“

„Ja, ja“, brummte Gertrud schmunzelnd. „Gleich ist es vorbei, du tapferer Kater. So… da! Schon fertig.“

Felix blinzelte überrascht. „Was, das war’s?“, fragte er und starrte ungläubig auf seine nun blitzsaubere Pfote.

„Ja, mein Held. Du wirst überleben“, sagte Gertrud mit einem Augenzwinkern. „Geh und ruhe dich aus. Oder besser: Erzähle deiner Fangemeinde, wie du dem Teichmonster entkommen bist.“

Felix setzte sich auf und richtete sich stolz auf. „Das werde ich, Gertrud. Du bist meine Zeugin!“

Mit neuem Elan hüpfte er los, auf der Suche nach Max, dem er seine dramatische Geschichte erzählen konnte. Er fand ihn dösend unter dem Kirschbaum und weckte ihn mit einem kräftigen Nasenstupser.

„Max, wach auf! Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist!“

Max blinzelte schläfrig. „Was ist los? Hast du wieder versucht, ein Blatt zu jagen und bist gescheitert?“

„Ha-ha, sehr witzig“, murrte Felix. „Nein, ich habe mit einem Fisch gekämpft! Er war riesig, und er hat meine Pfote angegriffen! Aber ich habe mich gewehrt. Du hättest mich sehen sollen – wie ein Löwe habe ich gekämpft!“

Max setzte sich auf und musterte Felix. „Ein Fisch? Hat dich angegriffen? Und was ist mit ihm passiert?“

„Er ist zurück ins Wasser gesprungen, bevor ich ihm den Gnadenbiss verpassen konnte“, schnurrte Felix und richtete sich stolz auf. „Aber ich habe ihm sicher einen ordentlichen Schrecken eingejagt.“

Minka, die sich das Ganze aus sicherer Entfernung angehört hatte, trat mit einem schelmischen Grinsen näher. „Oh ja, Felix, bestimmt hat der Fisch jetzt Albträume. Vor allem, weil er so einen unglaublich furchterregenden winzigen Kratzer hinterlassen hat.“

Felix fauchte leise. „Sei still, Minka. Du warst nicht dabei! Du hast keine Ahnung, was ich durchgemacht habe!“

Minka schnurrte belustigt und setzte sich mit einem zufriedenen Lächeln hin. „Oh Felix, du bist wirklich unverbesserlich. Aber mach weiter – deine Heldengeschichte ist zu amüsant, um sie zu unterbrechen.“

Felix hob stolz die Pfote und blickte auf die anderen herab. „Vielleicht lacht ihr, aber ich weiß, was ich erlebt habe. Und wenn dieser Fisch zurückkommt, werde ich bereit sein – dann ist die Schlacht um den Teich noch lange nicht vorbei!“

Die Katzen brachen in lautes Schnurren und Lachen aus, während Felix beleidigt die Schnauze hob. Doch tief in seinem Herzen wusste er: Er würde diesen Fisch eines Tages besiegen… oder es zumindest noch oft genug behaupten.



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